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Für eine bessere Spendenkultur
9/21/2011 von Stefan Loipfinger
Archivtext

Kinder in Not e. V. und andere Vereine

Geständnis von Spendenbetrug

Nächste Woche klicken die Handschellen
Bild: © Aamon - Fotolia.com

Jürgen W. gestand vor dem Landgericht Lüneburg allein zwischen November 2007 und Oktober 2008 über 100.000 Euro Spenden an den Verein Kinder in Not in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Der Grund für das Geständnis war ein vom Landgericht angebotener Deal, dass die nächste Woche verkündete Gefängnisstrafe dann bei maximal vier Jahren und sechs Monaten liegen würde. Seine Partnerin kann mit einer Bewährungsstrafe rechnen. Der Bruder von Jürgen W., Herr Thomas W. wurde wegen Spendenbetrugs in einem anderen Fall kürzlich zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Masche der beiden Spenden-Gauner ist aber nicht nur bei diesen beiden Fällen praktiziert worden. Mit Spendendosen Geld in Fußgängerzonen zu sammeln und den Großteil in die eigene Tasche zu stecken ist ein weit verbreitetes Phänomen.

Kinder in Not. Im April 2007 gründete Jürgen W. zusammen mit seiner Partnerin Cornelia D. und sechs weiteren Personen den Verein Kinder in Not. Ein Jahr später wurde die Umbenennung in Gegen Kinder Armut e. V. beschlossen. Die Akquise von Spenden erfolgte hauptsächlich über Spendendosen. Ganze Sammlertrupps sollen im Auftrag des Vereins unterwegs gewesen sein. Laut Staatsanwaltschaft Lüneburg betrug die „Aufwandsentschädigung“ allein für die Sammler bis zu 50 Prozent der Barspenden. Aber auch vom Rest kam wenig bei Kindern in Not an. Die Beschuldigten haben gut 100.000 Euro in dem untersuchten Tatzeitraum von einem Jahr in die eigene Tasche gesteckt und magere 8.650 Euro als Alibizahlungen an Einrichtungen für Kinder überwiesen.

Deal. Ins Rollen kamen die Ermittlungen in diesem Fall, weil die gesammelten Münzen nicht auf ein Vereinskonto einbezahlt wurden, sondern zum Teil in Scheine getauscht und auf private Konten flossen. Die Staatsanwaltschaft hat nach umfangreichen Ermittlungen wegen gewerbsmäßiger Untreue im Juni 2010 Anklage erhoben. Um den sehr komplexen und aufwändigen Prozess vor dem Landgericht Lüneburg abzukürzen, wurde den Angeklagten eine Maximalstrafe in Aussicht gestellt, sofern ein entsprechendes Geständnis abgegeben wird. Das passierte nun am 20. September 2011, so dass nächste Woche mit einer entsprechenden Verurteilung zu rechnen ist. Jürgen W. sieht seine Schuld aber offenbar immer noch nicht ein, da seines Erachtens auch bei anderen Hilfsorganisationen bis zu 90 Prozent der Spenden in die Verwaltung fließen.

Bruder. Mit ähnlichen Methoden wie Jürgen W. hat auch sein Bruder Thomas W. Geld auf den Straßen Deutschlands gesammelt. Vorwiegend kranke Kinder waren das vorgegebene Ziel für die Spenden und beide müssen sich dazu auch gerne als Clowns verkleidet haben. Auch Thomas W. wurde kürzlich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Eine für März dieses Jahres anberaumte Berufungsverhandlung zu einem in 2010 ergangenen Urteil wurde kurz vorher abgesagt. Damit erlangte das erstinstanzliche Urteil von zwei Jahren Gefängnis seine Rechtswirksamkeit.

Kinderhilfe National. Thomas W. gründete zusammen mit seiner Schwägerin und fünf weiteren Personen im August 2006 den Verein Kinderhilfe National. Die beiden W.’s wurden gleichzeitig zur Vorstandsvorsitzenden und zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Frau W. trat im März 2008 aus dem Verein aus, der dann von Thomas W. im November 2008 gelöscht wurde. Wie sein Bruder Jürgen W. beim Verein Gegen Kinderarmut hat auch Thomas W. bei der Kinderhilfe National die Löschung damit begründet, dass der Verein keine Mitglieder mehr habe.

System? Vermutlich haben die Gebrüder W. nicht nur bei diesen beiden Vereinen ihre Finger im Spiel gehabt. Nur in anderen Fällen ist dies deutlich schwerer nachweisbar, weil dort keiner der beiden mehr als Funktionsträger oder Gründer aufgetreten ist. Angeblich soll es so bei dem in 2009 gegründeten und im Sommer 2011 aufgelösten Verein Spenden für schwerkranke Kinder gewesen sein. Auch der in Recklinghausen angesiedelte Hilfe für schwerstkranke Kinder e. V. gilt laut einem ehemaligen Insider zum Einflussbereich der W-Brüder. Angeblich soll es auch eine Tierrettung National gegeben haben.

KHO. Relativ gesichert ist der Kontakt von Thomas W. zur KHO Kinderhilfsorganisation aus Nürnberg, die bei Gründung im März 2009 noch Hilfe für herz- und krebskranke Kinder hieß. Mehrere Insider berichteten gegenüber CharityWatch.de von den Verbindungen zu Thomas W., der dem Verein ein in Bar ausgezahltes Darlehen über 20.000 Euro gewährte. Über 20 Sammler waren zum Teil für den Verein unterwegs. Häufig kamen 200 Euro und mehr pro Tag pro Sammler zusammen. Ein professioneller Münzzählautomat lief deshalb offenbar heiß und musste in 2010 repariert werden. Die CW vorliegende Reparaturrechnung ging an Herrn W. Laut einem damaligen Insider soll allein in einem Jahr ein Sammelergebnis von rund einer Million zusammen getragen worden sein.

CW-Meinung. Jemand aus dem ehemaligen W.-Umfeld sprach gegenüber CharityWatch.de davon, dass angeblich 20 Vereine von den Gebrüdern W. benützt wurden, um Spenden im großen Stil auf den Straßen Deutschlands zu sammeln. Auch wenn diese Zahl durch nichts belegbar ist, so ist doch ein gewisses System dahinter erkennbar: Vereine werden gegründet und Sammlertrupps schwärmen aus. Sobald kritische Presseberichte oder Aktivitäten der Polizei die Arbeit behindern, wird der Name geändert oder der Verein gleich gelöscht. Schließlich ist es ein Leichtes, ganz schnell neue Organisationen mit wohlklingenden Namen aus dem Boden zu stampfen. Und auch wenn die beiden Brüder nun eine Zeit hinter Gitter verbringen, so steht zu befürchten, dass andere Personen mit ähnlicher Gesinnung das Modell fleißig weiter betreiben. In Nürnberg sind solche Fälle von „W.-Schülern“ bereits bekannt geworden. Am Ende dürfte allen eines Gemeinsam sein: Nur Alibibeträge kommen den Satzungszwecken zu Gute. Das meiste Geld kassieren die Sammler und deren Hintermänner.