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1/20/2011 von Karin Burger
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Illegale Tierimporte (2)

Tollwutgefahr durch illegale Tierimporte

Tollwutgefahr durch Tierimporte
Bild: ©mariok1979-Fotolia.com

Tierschutzvereine und –organisationen führen jährlich Hunderttausende von Hunden und anderen Tieren aus dem Ausland in die Bundesrepublik ein. In einer Artikelserie untersucht CharityWatch.de, in welchem Umfang die zuständigen Behörden und Ministerien diese Einfuhren kontrollieren und bestehendes Recht anwenden. Immer wieder stellt sich bei den bisher noch viel zu wenigen Transportkontrollen heraus, dass Tierschützer illegal agieren. Die Hunde haben keine oder gefälschte Papiere, es werden ungeimpfte Welpen nach Deutschland verbracht und die Transporte selbst sind oft tierschutzwidrig. Seit Januar 2011 wird jetzt auch noch vor Tollwutgefahr durch diese illegalen Einfuhren gewarnt.

Verschärfte Lage. Im ersten Bericht der CharityWatch-Artikelserie zu illegalen Tierimporten durch Tierschutzorganisationen wurde die Rechtslage erläutert, wie sie durch ein Schreiben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz schon im September 2010 allgemeinverständlich erklärt wird. Anfragen durch CharityWatch.de bei den Landwirtschaftsministerien in Sachsen, Hamburg und Saarland hatten ergeben, dass dort geltendes EU- und auch deutsches Recht schlicht nicht angewandt wird. Inzwischen liegen die Stellungnahmen weiterer Ministerien vor. Gleichzeitig entdeckten die Behörden wieder illegale Tierimporte, die mit erheblichen Gesundheitsgefahren auch für Menschen einhergehen.

Tollwutwarnung. In einer Pressemitteilung vom 13. Januar 2011 warnt das Bergische Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt Solingen vor Tollwut bei Hunden aus Rumänien. Tollwut ist eine auf den Menschen übertragbare und daher anzeigepflichtige Tierseuche, die im Falle einer Infektion fast immer tödlich endet. Für diese Warnung haben die Solinger Amtstierärzte einen konkreten Anlass. Ein rumänischer Transporter war von der Polizei kontrolliert worden. Dabei fand man unter den 25 Hunden vier Welpen im Alter von unter drei Monaten. So junge Hunde können keinen vorschriftsmäßigen Tollwutimpfschutz haben. Die Hunde wurden von Amts wegen unter Hausquarantäne gestellt. Und das Veterinäramt ruft alle Hundehalter, die über eine private Tiervermittlung einen Hund aus Rumänien aufgenommen haben, dazu auf, sich umgehend mit einem Tierarzt oder dem Amt in Verbindung zu setzen. Unkontrollierte Hunde-Importe aus Rumänien stellen eine große Gefahr für Menschen dar, weil dieses Land zu den Mitgliedsstaaten gehört, in denen das Tollwutvirus häufig auftritt.

Tierschutzvorwand. Die Behörde warnt in diesem Zusammenhang auch davor, Hunde aus den südlichen EU-Ländern zu übernehmen. Die Hunde würden, so die Pressemitteilung, „aus vorgeblichen Tierschutzgründen hierher gebracht“. Die nicht unerhebliche Gesundheitsgefährdung für Menschen durch diese Importe resultiere auch aus der Tatsache, dass „die Tiere oft gefälschte Papiere haben und selbst gefährliche Krankheiten auf den Menschen und andere Tiere übertragen können“.

Nordrhein-Westfalen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland, welches eine hohe Dichte an Tierschutzorganisationen aufweist, hat das zuständige Verbraucherschutzministerium keinen Überblick über Anzahl und Art der durch Tierschützer importierten Tiere. Zu der Frage, wie vielen Tierschutzorganisationen eine Registriernummer nach Paragraph 4 Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung zugewiesen wurde, verweist das Ministerium in Ermangelung eigener Daten an die einzelnen Veterinärämter. Das sind 55 Behörden. Auch zu der Frage, wie viele Tierschutzorganisationen in diesem Bundesland von den Veterinärbehörden dazu aufgefordert wurden, einen Antrag auf Genehmigung für den gewerblichen Handel mit Tieren zu stellen, kann die Behörde von Landwirtschaftsminister Johannes Remmel keine Auskunft erteilen, weil sie es nicht weiß. In Konsequenz kann die zuständige Verbraucherschutzbehörde nicht benennen, wie viele Hunde 2009 durch Tierschutzorganisationen nach Nordrhein-Westfalen eingeführt wurden. Kein Überblick, keine Kontrolle. Aber eine Veterinärbehörde genau dieses Bundeslandes warnt wenige Tage nach der Ministeriumsauskunft vor Tollwut bei Hunden aus Rumänien und den südeuropäischen Ländern.

Niedersachsen. Die im ersten Beitrag dieser Artikelserie erwähnte Besprechung der CharityWatch-Anfrage auf der letzten Sitzung der Landesarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz 2010 scheint vorrangig dazu geführt zu haben, dass sich die einzelnen Ministerien bezüglich ihrer Stellungnahme zu den gestellten Fragen abgesprochen haben. Auch Niedersachsen verweist darauf, dass man keine Zahlen vorliegen habe: weder zu den Genehmigungen noch zu den TRACES-Meldungen noch zu der Anzahl der durch Tierschützer eingeführten Hunde im Jahr 2009. Aus Kontakten mit Veterinären im Zuge von Einzelfallrecherchen ist CW aber bekannt, dass das Ministerium sehr wohl bei einigen Ämtern angefragt hatte. Als Bundesland mit einem der beiden größten Tierschutzskandale 2010, der Beschlagnahmung von rund 100 Hunden auf einem „Gnadenhof“ bei Dörrieloh, der von den Ermittlungsbehörden mit Hundehandel und Auslandshunden in Verbindung gebracht wird, wäre zu erwarten gewesen, dass dieses Ministerium dem Thema mehr Sorgfalt widmet. Für die Abwicklung solcher auch kostenintensiven Beschlagnahmungen werden Steuergelder verbraucht.

Baden-Württemberg. Interessant bei den Ministeriumsauskünften sind auch die Zeiträume zwischen Anfrage und Antwort. In Baden-Württemberg hat man zwei Monate gebraucht, um festzustellen, dass man nichts weiß. Ob und wie viele Tierschutzorganisationen registriert, genehmigt und kontrolliert Hunde einführen ist ebenso unbekannt wie deren Anzahl. Und das obwohl „der Schutz der Tierbestände vor Seuchen und Schutz des Menschen vor übertragbaren Erkrankungen“ ausdrücklich zu den Aufgaben des Ministeriums gehört.

Stichprobe Göppingen. Und auch die einzelnen Veterinärämter im Musterländle wissen nicht viel mehr oder nicht die ganze Wahrheit. Das Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz beim Landratsamt Göppingen beantwortet die Stichprobenanfrage von CharityWatch.de dahingehend, dass bisher keiner Tierschutzorganisation eine Registriernummer zugewiesen wurde. Insgesamt hat das Amt nur von drei Transporten in der zweiten Hälfte des Jahres 2010 Kenntnis. Bei diesen drei Transporten seien insgesamt 100 Hunde nach Baden-Württemberg eingeführt worden. Das ist deshalb so aussagekräftig, weil im Zuständigkeitsbereich dieses Veterinäramtes ein Tierschutzverein nach CW-Recherchen rund 300 bis 400 Hunde pro Jahr aus dem Ausland einführt. Zwar verweist die Behörde darauf, dass eine Tierschutzorganisation jetzt aufgefordert wurde, eine Genehmigung nach Tierschutzgesetz zum gewerblichen Handel mit Tieren zu stellen, aber hierbei handele es sich noch um einen Vorgang in Bearbeitung. Das lässt vermuten, dass die behördliche Aufforderung erst jüngst ergangen ist.

Kapazitätsengpässe. In den Zuständigkeitsbereich des Göppinger Veterinäramtes fällt ein Fall, in dem der Staatsanwalt schon seit 2009 gegen einen Tierschutzverein ermittelt. Das Amt verweist auf „unbestätigte Informationen“, wonach Straßenhunde aus anderen Staaten in großem Umfang in den Landkreis verbracht würden. Die Probleme sind also bekannt. Kritisch sehen die Göppinger Veterinäre darüber hinaus das Kapazitätsproblem der regionalen Tierheime. Mehrere Tierheime im Landkreis haben dem Veterinäramt mitgeteilt, dass sie mit der Aufnahme einer Vielzahl von Tieren aus der Region bereits ihre Kapazitätsgrenzen erreicht hätten und zum Teil keine Tiere mehr aufnehmen könnten. Dazu Amtstierarzt Dr. Lars Telgen: „Angesichts dieser Situation wird das Verbringen von Hunden aus dem Ausland auch bei den Tierschutzvereinen kritisch gesehen“.

CW-Meinung. Die aktuellen Entwicklungen im Zuständigkeitsbereich von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sind beunruhigend. Im Moment richten sich alle Augen auf den Dioxinskandal. Dort fehlt es bisher an Kontrolle.
Weder Überblick noch Kontrolle noch die Anwendung bestehender Gesetze kennzeichnen aber auch den Bereich der massenhaften Tierimporte durch Tierschutzorganisationen. Hier wird weder deutsches noch EU-Recht angewandt, obwohl seit vielen Jahren in Kraft. Die Landwirtschaftsministerien haben keinen Überblick und können Fragen nicht beantworten. Die Veterinärämter wissen auch nicht viel mehr und reagieren nicht einmal in den Fällen, in denen der Staatsanwalt schon ermittelt. Zeitgleich sehen sich andere Amtstierärzte veranlasst, vor einer reellen Tollwutgefahr durch Hunde aus Rumänien und anderen Ländern zu warnen. Der amtlich verlautbaren Gesundheitsgefährdung stehen die Ministerien ohne Überblick gegenüber.

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