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Für eine bessere Spendenkultur
10/9/2009 von Dr. Susanna Berndt
Archivtext

Ärzte für die Dritte Welt e.V.

Jahresurlaub für die gute Sache

Ärztin bei der Arbeit
Quelle: Ärzte für die Dritte Welt

Nicht weniger als sechs Wochen in einem der Elendsviertel der Welt und mindestens die Hälfte der Flugkosten müssen auch noch bezahlt werden. Keine Spesen, keine Aufwandsentschädigungen. Trotzdem haben alleine im vergangenen Jahr 185 Ärztinnen und 160 Ärzte zahlreiche Kinder und Erwachsene aus der Dritten Welt vor Ort unentgeltlich behandelt. Für Ihre Arbeit brauchen sie dennoch Geld: für Medikamente, für Zusatznahrung bei unterernährten Kindern, für medizinische Geräte, Verbandsstoffe, Untersuchungsmaterial und für vieles mehr.

Finanzzahlen. 8,78 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr eingenommen, davon 5,04 Millionen Euro Geldspenden, 2,42 Millionen Euro staatliche Zuschüsse zu Projekten und 188.000 Euro Eigenbeteiligung der Ärzte. Die Ausgaben betrugen insgesamt 9,25 Millionen Euro. Davon gingen 4,84 Millionen Euro an 131 Partnerprojekte in 23 Ländern, darunter zahlreiche vom Entwicklungshilfeministerium BMZ gefördert. Die Kosten für 345 eigene Einsätze in neun Projekten beliefen sich auf 4,05 Millionen Euro. Für Personalaufwand, Verwaltung und sonstige Ausgaben kamen noch 744.000 Euro zusammen, was acht Prozent der Gesamtausgaben entspricht. Im Personalaufwand enthalten sind ein Geschäftsführer, sieben Vollzeitmitarbeiter und zwei Teilzeitmitarbeiter sowie zwei Honorarkräfte. Die ebenfalls eingerechnete Öffentlichkeitsarbeit kostete 117.000 Euro. Dabei handelte es sich größtenteils um Feiern zum 25. Jubiläum, in deren Rahmen Ärzte über ihre Arbeit in Vereinsprojekten erzählten. Ein Posten, den andere Hilfsorganisationen gerne als satzungsbezogene Ausgaben deklarieren. Die Postgebühren von 24.000 Euro sind unter anderem auf zwei Spendenmailings mit jeweils über 50.000 Aussendungen zurückzuführen, wobei die Schreiben selbst intern teilweise auf ehrenamtlicher Basis erstellt wurden.

Historie. Der Geisteswissenschaftler und Jesuit Dr. Bernhard Ehlen gründete 1983 das Hilfskomitee „Ärzte für die Dritte Welt“, weil er das Massenelend auf der Welt nicht mehr ertragen konnte. Er beschloss mit deutschen Ärzten eine Hilfsorganisation aufzubauen. Ärzten, die bereit sind, unentgeltliche Einsätze mit einer Mindestdauer von anderthalb Monaten zu akzeptieren. Zwar heißt es, dass Kurzzeiteinsätze von Ärzten nicht sinnvoll wären, weil die Möglichkeit fehlt sich in der fremden Kultur und dem neuen Umfeld zurechtzufinden. Wenn jedoch alles gut organisiert wäre und die Einsätze kontinuierlich in örtlich funktionierende Basisstrukturen eingebettet, müsste es jedoch funktionieren, dachte sich Ehlen. Der Erfolg gab ihm Recht. Bei den Bedürftigen werden die german doctors freudig aufgenommen. Auf Ablehnung stoßen sie allerdings oft bei den ansässigen Ärzten, die Konkurrenz wittern. Hier muss deutlich gemacht werden, dass nur die „Habenichtse“ eine Versorgung erhalten. Skeptisch sind auch die Behörden. Sie fragen: Seid ihr politisch tätig? Seid ihr missionarisch tätig? Macht ihr Geld? Auf alle drei Fragen hat Ehlen dieselbe Antwort: „Nein. Denn obwohl ich ein katholischer Priester bin, ist die Organisation keine kirchliche. Wir sind einfach menschlich engagiert.“

Tätigkeit. Inzwischen gibt es neun medizinische Hilfsprojekte in fünf Ländern der Dritten Welt: Indien, Bangladesch, Nicaragua, Kenia und auf den Philippinen. Jedes der Projekte wird von zwei bis acht Ärzten an den Standorten unterstützt. 2008 waren in den Projekten, zumeist in Großstadtslums, durchgehend 38 Ärztinnen beziehungsweise Ärzte medizinisch tätig. Bis Ende 2008 fanden 4.623 Einsätze auf freiwilliger und unentgeltlicher Basis statt. 2.339 deutsche Allgemeinärzte, Internisten, Kinderärzte, Chirurgen, Anästhesisten, Zahnärzte und andere Mediziner behandelten in ihrem Jahresurlaub, Ruhestand und/oder ihrer freien Zeit Patienten, impften Kinder und betrieben Krankenstationen. Während die überwiegende Zahl im vergangenen Jahr die üblichen sechswöchigen Einsätze machten, führte ein Arzt einen Langzeiteinsatz von über einem Jahr durch, fünf Ärztinnen und Ärzte blieben zwischen sechs Monaten und einem Jahr, und acht weitere drei bis sechs Monate.

Partnerprojekte. Durch staatliche Zuschüsse im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe konnte 2008 in neun Ländern 47 Hilfsgesuchen entsprochen werden. Insgesamt hat Ärzte für die Dritte Welt in 23 Ländern bei 131 Projekten mit Partnern zusammengearbeitet. Alle Zuwendungen an diese Projekte wurden über den Verein abgerechnet. Die Aufgabengebiete reichen weit. Unter den medizinischen Projekten finden sich etwa rollende Kliniken für Straßenkinder in Bolivien oder Nicaragua, weltweite Gesundheitszentren, darunter auch eines auf einem Boot in Bangladesch, Feedingprogramme für Kinder beispielsweise in Kenia, Bangladesch und auf den Philippinen sowie Unterstützung für Mütter, Waisenkinder sowie Aidskranke. Zu den Bildungsprogrammen zählen beispielsweise der Ausbau und die Errichtung von Schulen für Slumkinder, Gesundheitserziehung für Mütter, Sprachschulen für Gehörgeschädigte. Einen festen Platz hat aber auch die Notfallhilfe in Krisengebieten wie Überschwemmungen in Birma und Indien, Erdbeben in Indonesien oder Bürgerkrieg im Kongo. Zudem werden landwirtschaftliche und Umwelt-Programme organisiert, darunter Sanitär- und Wasserprojekte sowie der Wiederaufbau von Häusern nach Umweltkatastrophen. Und es gibt Hilfe zur Selbsthilfe, etwa Ausbildungen für Mütter oder Kredit- und Mikro-Kreditprogramme vor allem in Indonesien, Vietnam und auf den Philippinen.

Stiftung. Neben dem Verein gibt es noch die treuhänderische „Ärzte für die Dritte Welt-Stiftung“. Diese bezweckt durch ideelle und materielle Unterstützung, zur nachhaltigen Erfüllung der ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen und mildtätigen Zwecke des Vereins beizutragen. Ziel ist die Förderung der Vereinszwecke, nämlich die Organisation, Vermittlung und Betreuung von medizinischer, sozialer und humanitärer Hilfe für Kranke und Notleidende in Notstandsgebieten der Dritten Welt.

VENRO. Der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. ist ein freiwilliger Zusammenschluss von 118 deutschen privaten und kirchlichen Trägern der Entwicklungszusammenarbeit, der Nothilfe sowie der entwicklungspolitischen Bildungs- Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Ärzte für die Dritte Welt ist Mitglied des Verbandes und wirkte intensiv an der Formulierung eines Verhaltenskodexes mit, der am 20. Dezember 2008 von allen und für alle Mitglieder beschlossen wurde. Der Kodex gibt verbindliche Richtlinien für die Arbeit der Organisationen vor. Er enthält Prinzipien der Organisationsführung, der Kommunikation, der Betriebsführung und der Wirkungsbeobachtung. Zudem verpflichten sich die Mitglieder den Jahresbericht zu veröffentlichen und Werbe- sowie Verwaltungsaufgaben getrennt darzustellen.

CW-Meinung. Jahresabschlüsse und Tätigkeitsberichte sind über das Internet zugängig, die Satzung lässt sich problemlos bestellen. Ärzte für die dritte Welt e.V. ist sehr um Transparenz bemüht, wenngleich sich die allgemein zugängige Vielfalt an Zahlen auch auf den zweiten Blick nicht sofort jedermann zu erschließen vermag. Will ein Spender mehr über die Projekte erfahren oder gibt es Unklarheiten in Bezug auf die Finanzzahlen genügt allerdings ein Anruf. Bereitwillig gibt Geschäftsführer Dr. Harald Kischlat Auskunft. Sein Wunsch ist es, die Arbeit der Ärzte für die dritte Welt, wie auch die über den Verein unterstützen Projekte künftig im Internet noch anschaulicher zu vermitteln. Ein lobenswerter Wunsch, vor allem, weil der Verein in Bezug auf Transparenz und Kommunikationsbereitschaft schon jetzt vielen Hilfsorganisationen um einiges Voraus ist. Das gilt auch für die Höhe der Verwaltungsausgaben.