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2/28/2011 von Karin Burger
Archivtext

Illegale Tierimporte (3)

Rechtsunsicherheit und Behördenchaos

Rechtsunsicherheit beim Tierimport
© ilro - Fotolia.com

Das zähe Bemühen von CharityWatch.de, verbindliche Auskünfte der 16 Länderministerien zur Anwendung der einschlägigen Gesetze und Verordnungen auf die Einfuhr von Tieren durch Tierschutzorganisationen zu erhalten, bekommt jetzt Aufwind. Die neue erste Vorsitzende des Arbeitskreises Tierschutz der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (LAV), Dr. Ulrike Marschner, zeigt sich engagiert und gesprächsbereit. Die enorme Rechtsunsicherheit zu diesem Thema jedoch kann auch sie nicht einfach beseitigen. Ob Veterinäre, Tierschützer oder die Übernehmer von Hunden, alle Beteiligten haben Fragen. Und die Antworten variieren.

Zwei Rechtsgebiete. Das Grundproblem dabei besteht in der Verflechtung zweier verschiedener Rechtsgebiete: Hier europäisches Recht in Form der Binnenmarkt-Tierseuchenschutzverordnung (BMTierSSchV) inklusive der geforderten TRACES-Meldungen; dort deutsches Recht in Form des Tierschutzgesetzes mit Sachkundenachweise nach Paragraph 11. Hinzu kommt der Unterschied zwischen Rechtsetzung (Bund beziehungsweise EU) und Vollzug (Länder). Und genau diese Verflechtung von Tierseuchenrecht und Tierschutzrecht macht die Probleme: in der Auslegung der Bestimmungen, in der Anwendung und nicht zuletzt in den Zuständigkeiten.

BMELV-Auslegung. Der Wendepunkt im Gesetzesverständnis der Ministerien sowie der ausführenden Behörden lag im September 2010. Auf eine detaillierte Anfrage von Werner Hille, Betreiber der Tiervermittlungsplattform Zergportal, hin veröffentlichte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Dr. Patrick Huselstein, dessen Rechtsauffassung. Ausgehend vom intendierten Besitzerwechsel, der beim Import durch Tierschutzorganisationen quasi strukturell bedingt ist, wollen diese ihre Tiere doch in Deutschland vermitteln, werden die Regelungen der EU-Verordnung Nr. 388/2010 vom BMELV als unerheblich deklariert und stattdessen die Richtlinie 92/65/EWG als allein verbindlich ausgewiesen. Das hat restriktive Bedingungen für Tierschutzorganisationen zur Folge: Nach dieser Interpretation ist jegliche Einfuhr von Tieren durch Tierschutzorganisationen gewerblich und bedarf deshalb einer entsprechenden tierschutzrechtlichen Genehmigung (Paragraph 11 TSchG für gewerblichen Handel mit Tieren). Für diese Genehmigung wiederum voraussetzend ist der Sachkundenachweis. Das ist der tierschutzrechtliche Teil. Von dort geht es über zum Tierseuchenrecht mit der Verpflichtung, eine Registriernummer nach Paragraph 4 BMTierSSchV zu beantragen und des Weiteren alle Transporte über TRACES zu melden.

Knackpunkt Gewerblichkeit. Der gesamte Verfahrenskomplex zentriert sich um den Begriff der Gewerblichkeit. Und gegen diese Kategorisierung legen einige große Tierschutzorganisationen ihr Veto ein und wollen die Gleichstellung des Tierschutzes mit dem Handel jetzt vor Gericht klären lassen. Bis dahin jedoch gelten die aktuellen Bestimmungen in der Auslegung des Bundesministeriums, die jedoch nicht unumstritten ist. Auch gibt das Grundgesetz den Ländern für die Durchführung und Überwachung der Einhaltung der Regelungen des Gemeinschaftsrechts viel Spielraum, so dass es derzeit kein ländereinheitliches Prozedere gibt. Darüber hinaus finden die juristischen Auslegungen zur Frage der Gewerblichkeit wie zum Beispiel die des Verwaltungsjuristen Dierk Thümmel, welcher diese für Tierschutzorganisationen bejaht, ihre Gegenposition.

Neue Erkenntnis. Ulrike Marschner von der Arbeitsgruppe Tierschutz der LAV gibt in einem Gespräch mit CharityWatch.de ganz offen zu, dass die Länder im Aspekt der Gewerblichkeit erst mit der Rechtsauslegung des BMELV im September 2010 bestärkt worden seien. Damit erklärt sie, was die Recherchen von CharityWatch.de belegen: Bisher sind die entsprechenden Rechtsvorschriften von den Ländern so nicht angewendet worden. Marschner wirbt auch um Verständnis dafür, dass die Verfehlungen der Tierschutzorganisationen für die Vergangenheit nicht mehr geahndet werden können.

Stumme Ministerien. So viel Offenheit überrascht, denn eine ganze Reihe von Ministerien arbeitet derzeit noch mit der Hinhaltetaktik. Die Anfragen von CharityWatch.de werden teilweise seit November 2010 nicht beantwortet. Am schnellsten waren noch Hamburg (17. November), Saarland (22. November) und Niedersachsen (8. Dezember). Nach zweifacher Nachfrage antwortete Baden-Württemberg Anfang 2011. Auch Nordrhein-Westfalen startete hier hoffnungsvoll ins neue Jahr. Nach Anmahnung der ausstehenden Antwort reagierte Mecklenburg-Vorpommern jetzt synchron: Es lägen keine Daten vor. Für Auskünfte stünden die einzelnen Veterinärämter zur Verfügung.

Unklarer Auftrag. Einzelne Ministerien beriefen sich bei ihrer Antwort-Untätigkeit auf einen Beschluss der LAV noch unter dem Vorsitz von Dr. Barbara Stetter (Baden-Württemberg), die CW-Anfrage durch dieses Gremium für alle Ministerien einheitlich beantworten zu lassen. Nur ist diese Stellungnahme nie erfolgt. Die neue Vorsitzende dieser wichtigen Einrichtung als Sprachrohr aller Länder im Themenbereich Tierschutz, Dr. Ulrike Marschner (Bayern), meint sich eines jüngeren Beschlusses zu erinnern, dass die Länder nun doch einzeln Stellung beziehen sollen. Unangenehm sind die CW-Fragen wohl in jedem Fall.

Presseanfragen-Loch. Die Nachfragen in den einzelnen Ländern entbehren nicht eines gewissen Unterhaltungswerts. Besonders charmant war Hessen. Dort konnte man sich an die CW-Frage zunächst gar nicht mehr erinnern. Immerhin machte man sich aber auf die Suche. Die Freude darüber, die seinerzeit in zweifacher Ausfertigung erhaltene Anfrage wiedergefunden zu haben, führte sofort zu einer diensteifrigen Rückmeldung, die Sache nun aber auch in Angriff nehmen zu wollen. Dafür gibt es sogar eine selbst gesetzte Deadline. Eine eher kecke Lösung wählte der Bremer Senat, der über drei Monate nach Erhalt der Anfrage und nach neuerlicher Mahnung feststellt, dass diese einem anderen Ressort zugeleitet werden muss. Bayern – hier wieder zuständig in Personalunion Dr. Marschner – verspricht auch die baldige Antwort, nachdem man noch einmal um Neuzusendung der Anfrage gebeten hatte. Rheinland-Pfalz hatte sich Ende November 2010 noch drei Wochen Zeit ausbedungen. Nachdem diese drei Wochen fast drei Mal um sind, wurde am 21. Februar die Antwort erneut angemaht. Darauf hin wurde etwas kleinlaut darum gebeten, die Anfrage erneut zu schicken. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es die CharityWatch-Anfrage vom 18. November nicht mehr: „Schicken Sie es doch noch einmal!“ Schleswig-Holstein und Thüringen sind ebenfalls noch offen.

Verunsicherungen. Verschiedene Leserzuschriften dokumentieren die Verunsicherung von Tierschützern und Hundeübernehmern zum Gesamtkunstwerk des komplexen Rechtsrahmens. Dies betrifft vor allem den erforderlichen Sachkundenachweises nach Paragraph 11 TierSchG. Das BMELV bestätigt dazu in einer aktuellen Stellungnahme, dass der Sachkundenachweis und die Erteilung der Registriernummer den verschiedenen Rechtsgebieten zuzuordnen ist. Für Verunsicherung der Tierschützer besteht aber kein Anlass, denn aussagekräftig zu dieser Frage sind einzig und allein die jeweils zuständigen Veterinärbehörden. Einige dieser interpretieren analog zu Huselstein und machen die Forderung nach dem Sachkundenachweis an der Gewerblichkeit fest. In einem aktuellen Fall des Veterinäramts Solingen wurde der Sachkundenachweis zur Voraussetzung für die Beantragung der Registriernummer gemacht. Auch das von CharityWatch.de befragte Veterinäramt Diepholz in Niedersachsen weist darauf hin, dass sich die zwei verschiedenen Rechtsgebiete einander bedingen. Dies alles schließt nicht aus, dass das nächste Veterinäramt diese Frage anders bewertet.

Entwarnung. Die große Rechtsunsicherheit erstreckt sich auch auf die Hundefreunde, die sich sorgen, dass ihr Tierschutz-Hund eventuell nicht ordnungsgemäß nach Deutschland eingeführt wurde. Zur Sorge besteht kein Anlass. Bisher ist kein Fall bekannt, in dem Veterinärbehörden bei nachträglich bekannt gewordenem illegalem Import dem Verbleib der Hunde nachgegangen wären. Daran haben die Ämter ohne weiteren tierseuchenrechtlichen Anlass auch gar kein Interesse. Nur in den Fällen, in denen die Ämter den Transport selbst kontrollieren, Verstöße feststellen und eventuell sogar die Hunde beschlagnahmen, kann es passieren, dass Interessenten den ausgesuchten und bestellten Hund gar nicht erst übernehmen dürfen oder eine sogenannte Hausquarantäne behördlicherseits angeordnet wird. Eine nachträgliche Wegnahme des Hundes hat es nach den CW-Recherchen bisher noch nicht gegeben.

Empfehlung. Tier- und Hundefreunde, die Schützlinge von Tierschutzorganisationen aus dem Ausland übernehmen wollen, sollten sich vorher bei dem für ihren Wohnsitz zuständigen Veterinäramt erkundigen, ob die von ihnen gewählte Tierschutzorganisation dort bekannt ist, die tierschutz- und tierseuchenrechtlich geforderten Nachweise und Meldungen erfüllt werden und welche Schritte die Behörde empfiehlt. Sie sollten sich bei diesem Thema lieber nicht auf die Auskünfte der Tierschutzorganisationen selbst verlassen. Der vorherige Kontakt mit den Veterinärämtern ist in zweifacher Hinsicht sinnvoll, gibt es doch den Übernehmern von Auslandshunden Rechtssicherheit und zeitgleich könnten die Veterinärbehörden auf diesem Weg von potenziell illegalen Einfuhren erfahren und entsprechende Kontrollen veranlassen.

CW-Meinung. Es ist erstaunlich und desillusionierend, wie groß das Chaos zu diesem wichtigen und in der Menge importierter Tiere, vornehmlich Hunde, jährlich wachsenden Themenbereich ist. Wie die zunehmende Anzahl der von den Behörden bei Transportkontrollen festgestellten Missstände sowohl in tierseuchen- wie in tierschutzrechtlicher Hinsicht belegt, ist Kontrolle in diesem Bereich mehr als notwendig. Als hinsichtlich der Einfuhr seriös handelnde Tierschutzorganisationen sind nur jene zu bewerten, die vor der ersten Einfuhr alle Fragen mit der für sie zuständigen Veterinärbehörde abklären und sich das auch schriftlich bestätigen lassen. Nachfragen durch CharityWatch.de bei Tierschutzorganisationen, die sogar im Fernsehen ihre Auslandshunde zur Vermittlung anbieten, bleiben da oft ohne Antwort. Fallberichte folgen.

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