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4/15/2010 von Dr. Susanna Berndt
Archivtext

Besuch eines Ärzteteams von Deviemed in Vietnam

Mehr als nur ein Lächeln

Deviemed-Ärzte operieren ein Spaltkind
Bild: Dr. Susanna Berndt

Mitten in Zentralvietnam liegt das moderne Central Hospital von Hue. Die Besonderheit stellt der Bereich für allgemeine Chirurgie dar. Dort dürfen Ärzte ausländischer Hilfsorganisationen einheimische Patienten mit Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten operieren. Deviemed folgt dieser Einladung seit 1999. Auch in diesem Jahr schickte die Organisation ein Team mit hochdotierten Ärzten und erfahrenen Schwestern, um Kindern und Jugendlichen nicht nur ein Lächeln, sondern vor allem ein menschenwürdigeres Leben zu ermöglichen.

Organisation. Lange Warteschlangen gab es für die Spaltpatienten des Deviemed-Teams in Zentralvietnam nicht. Das lag an der Organisation des Central Hospital. Jeden Tag fand sich früh morgens eine bestimmte Anzahl von Patienten zur Voruntersuchung ein. Die meisten stammten aus der Umgebung von Hue. Sie wurden durch Befragung der umliegenden Krankenhäuser gefunden und erhielten feste Termine, wann sie in das Central Hospital kommen sollten. Eine kostenlose Anreise bekamen die Patienten aus Danang, der nächsten größeren Stadt. Die Initiative geht auf Dr. Hop Van Ta zurück. Der vietnamesische Arzt studierte in Deutschland und arbeitet heute in seiner Heimatstadt Danang. Seine ausgezeichneten Deutsch-Kenntnisse machen ihn zu einem unverzichtbaren Dolmetscher für das Deviemed-Team. Im Central Hospital von Hue organisiert Chefchirurg und Anästhesist Dr. Hua Ton-That die Hilfe für Spaltpatienten. Auch er studierte in Deutschland und spricht sehr gut Deutsch. Hua erzählt, dass die Klinik sich um die Unterbringung der Patienten mitsamt ihrer Familien bis zur Heilung der letzten Narbe kümmere. Das sind immerhin sieben bis zehn Tage. Anschließend sind die meisten Patienten jedoch wieder auf sich selbst gestellt. Logopädie und Kieferorthopädie befinden sich noch in den Kinderschuhen. Dafür stehen während des gesamten Aufenthaltes des Deviemed-Teams vier Betten in der Intensivstation bereit. Eine Vorsichtsmaßnahme, die Leben retten kann, sollte es einmal zu Komplikationen kommen.

Das Team. Von 15. bis 26. März befand sich das Team von Deviemed in Hue. Zwei, manchmal drei Operationstische standen ihm zur Verfügung. Vier Kieferchirurgen Prof. Dr. Dr. Christian Michel, Dr. Dr. Helmut Sieber, Dr. Dr. Dirk Möhle und Dr. Susanne Sehhati-Chafai-Leuwer kümmerten sich zusammen mit drei Anästhesisten Dr. Joachim Mehler, Dr. Sabine Mensching und Dr. Anke Lötte sowie zwei Anästhesieschwestern Heike Baaske und Gertraud Steinhagen um die Spaltpatienten. Die schwesterliche Oberaufsicht hatte Luljeta Bunjaku. An den Operationstischen halfen einheimische Schwestern.

Zusatznutzen. Seit sieben Jahren begleitet ein HNO-Arzt das Deviemed-Team. Dr. Christian Sartorius untersucht vor den Operationen die Ohren der Patienten, denn bei vielen hat sich Flüssigkeit hinter dem Trommelfell gesammelt, die nicht abfließen kann und zu Hörschäden führt. Ein kleiner Schnitt verschafft Abhilfe. Damit der Effekt länger anhält, wird ein Röhrchen in den Schnitt eingelegt. So wächst die Öffnung nicht zu. Allerdings fällt das Röhrchen nach sechs Monaten wieder heraus und müsste in vielen Fällen erneuert werden. In dieser Art der Nachsorge sehen die meisten der Einheimischen jedoch keinen Sinn, wie sie dem Gehör überhaupt wenig Aufmerksamkeit schenken. Einer der Gründe, warum es in Vietnam sehr viele Hörgeschädigte Menschen gibt. Ein anderer liegt natürlich darin, dass jeder Gang zum Arzt Geld kostet und die wenigsten sich zusätzliche Ausgaben leisten können. 2007 schloss sich dem Ärzteteam zudem eine Logopädin an und seit 2008 begleitet es eine Kieferorthopädin. Prof. Dr. Angelika Stellzig-Eisenhauer und Pia Stricker behandeln einen Teil der Patienten und halten Vorträge.

Ergebnis. Insgesamt operierte das Team in zehn Tagen 63 Kinder. 30 Spaltpatienten waren es in der ersten Woche. In den Zimmern und Gängen, in denen die Familien ihre Zeit während der Nachsorge verbrachten, erlebte CharityWatch.de eine dermaßen ausgelassene Fröhlichkeit wie in keinem anderen Krankenhaus zuvor. Stolz präsentierten Mütter, Väter und andere Verwandte ihre kleinen Lieblinge. Zwar wirkten die mit frischen Nähten versehenen Babys und Kleinkinder ein wenig verschüchtert, aber die rings herum überall zu spürende Freude entlockte ihnen schließlich doch das eine oder andere Lächeln. Abgewiesen werden mussten jedoch leider auch einige. Beispielsweise ein zweijähriger Junge mit Wasserkopf. Prof. Michel meinte, dass es keinen Sinn mache, ihn zu operieren, weil es ihm keine Vorteile mehr brächte. Es steht zu fragen, ob die Mutter überhaupt weiß, wieso ihr Kind anders ist als die anderen. Ob sich irgendjemand die Zeit nimmt, es ihr zu erklären. Denn gerade in der ländlichen Bevölkerung hält sich der Aberglaube, solche Kinder wären besessen und die Dämonen ließen sich mit Hilfe starker Magie, wie sie die ausländischen Ärzte zweifelsohne besäßen, vertreiben. Der Buddhismus hingegen geht davon aus, derartige Fehlbildungen würden eine Strafe für böse Taten im vorhergehenden Leben darstellen. So oder so keine guten Voraussetzungen für ein den Umständen entsprechend humanes Leben – trotz der offensichtlich fürsorglichen Liebe von Mutter oder Großmutter.

Konkurrenz. Nicht nur deutsche Teams tummeln sich in Vietnam. Gerade in Hue geben sich die ausländischen Ärzte manchmal die Türklinke in die Hand. Ob das immer zum Besten der Patienten ist, steht zu fragen. Manche Organisationen bezahlen für jede operierte Spalte Beträge, die oft genug unerfahrene oder unqualifizierte einheimische Ärzte über Nacht zu berufenen Kieferchirurgen mutieren lassen. Andere senden eigene Chirurgen. Auch hier gibt es nicht nur Gerüchte, die sich um die schlechte Qualität so manch eines Einsatzes ranken. „Insuffizient“, nennt Michel etwa die wunderschön verheilte Narbe mit perfekter Lippenkontur bei einem kleinen Mädchen. Ein Blick auf den Oberkiefer unter der Lippe zeigt, warum. Der Chirurg hat einfach nur die Lippenspalte verschlossen und die dahinter liegende Kieferspalte ignoriert. So zauberte er zwar ein hübsches Lächeln auf das Gesicht des Mädchens, wenn es isst, wird ihm der Brei jedoch nach wie vor aus der Nase laufen. Denn das Problem dieser Kieferspalte besteht in der großen Öffnung zwischen Nase und Mund. Eine Öffnung, durch die der Essensbrei beim Kauen nach außen gedrückt wird, durch die aber ebenso leicht Keime von außen nach innen dringen. Eine Gaumenspalte hingegen stört die Funktion von Luft- und Speiseröhre. So kommt es häufig zu Lungeninfekten und Verschleimung der Bronchien. Insuffiziente Operationen werden unter anderem von plastischen Chirurgen aus Amerika durchgeführt. Vielleicht liegt es an der zu starken Spezialisierung, die zu einem verminderten Gesamtverständnis für die Funktionsweise des menschlichen Körpers führen kann. Vermutlich wissen diese Operateure gar nicht, dass sie nichts Gutes tun, wenn sie nur ein Lächeln schenken. Denn eine zweite Operation bleibt den Kindern nicht erspart. Zudem erklärt Michel, wäre es wesentlich komplizierter und langwieriger eine Kieferspalte bei bereits verheilter Lippenspalte zu schließen, als beides zusammen. Von anderen amerikanischen Hilfsorganisationen ist wiederum zu hören, dass sie in ihren Teams Chirurgen mitführen, die während der Operation das Lehrbuch aufschlagen. Ein Vorwurf, der allerdings ebenso in Bezug auf koreanische Teams ausgesprochen wurde. Fest steht: Kinder in fremden Ländern für Trainingszwecke zu missbrauchen ist keine humanitäre Hilfe, sondern menschenverachtend.

Finanzen. 19.640 Euro kostete Deviemed der Einsatz des Ärzteteams in Hue. 14.500 Euro wurden für 13 Flüge und 3.200 Euro für die Übernachtungen in einem Mittelklassehotel ausgegeben. Hinzu kamen Kosten für Essen (980 Euro), Fahrten (60 Euro), Instrumentenlagerung (400 Euro), ein Obulus an die einheimischen Schwestern (200 Euro) und direkte finanzielle Hilfe für bedürftige Familien (230 Euro). Die Selbstbeteiligung des Teams betrug 3.150 Euro. Sie richtet sich bei Deviemed nach dem beruflichen Rang und Verdienst des jeweiligen Mitglieds.

Fazit. Viele ausländische Hilfsorganisationen entsenden ihre Ärzteteams nach Vietnam. Trotzdem gibt es genug zu tun. Gefragt sind Chirurgen und Anästhesisten mit langjähriger Erfahrung und umfassender Ausbildung wie sie Deviemed seit nunmehr über zehn Jahren nach Vietnam schickt. 260 Euro pro Patient ist das Ergebnis des diesjährigen Einsatzes in Hue. Wie viele Patienten behandelt, wie viele Operationen durchgeführt werden, liegt jedoch nicht in der Hand des Ärzteteams. Es ist darauf angewiesen, dass die Organisation über das Krankenhaus funktioniert und jeden Tag genügend Patienten erscheinen. Ein großes Thema bei Deviemed ist, ob es nicht sinnvoller wäre, einheimische Ärzte auszubilden und für künftige Operationen nur noch Geld zu überweisen. In der Praxis ein schwieriges Unterfangen. Zwar beteiligten sich zeitweilig vietnamesische Chirurgen an den Operationen, diese Möglichkeit der Zusatzausbildung wurde jedoch nur eingeschränkt genutzt. „Das liegt an zwei Gründen“, erklärt die Leiterin des Teams Anke Lötte. „Zum einen ist die Kieferchirurgie nicht so angesehen wie etwa die Herzchirurgie. Zum anderen ist der Verdienst nicht so hoch.“ Prestige und Geld, die treibenden Faktoren der Welt. Dr. Hua verrät, dass die einfachen Ärzte in staatlichen Krankenhäusern jedoch nicht einmal genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Deswegen besitzen viele von ihnen im Central Hospital eine kleine Kammer, in der sie privat Patienten empfangen. Ohne diesen Zusatzverdienst könnten sie kaum ihre Familien ernähren. So scheiterten bisher alle Versuche des Vereines, ein Spaltzentrum aufzubauen. Denn neben hohen Investitionskosten und laufenden Fixkosten benötigt ein solches Zentrum zusätzlich kontinuierliche Betreuung und vor allem geeignetes Personal. Doch insbesondere Kieferchirurgen sind in Vietnam rar gestreut. An Patienten würde es indes nicht fehlen, vor allem in den ärmsten Bevölkerungsschichten. Ein guter Grund für Deviemed weiterhin erfahrene Ärzteteams nach Vietnam zu schicken.